Ort der Hoffung - Ort der Artenvielfalt

Der Friedhof der Ev. Kirchengemeinde Wattenscheid in Bochum an der Westenfelder Straße ist eine grüne Oase inmitten der dichten Wohnbebauung zwischen der Wattenscheider Innenstadt und dem Ruhrschnellweg (A 40). Daher hat er über die Funktion als Begräbnisstätte hinaus eine große Bedeutung für die Bevölkerung als Raum für Erholung und Begegnung. Er stellt außerdem einen wichtigen Lebensraum und Rückzugsort für Tiere und Pflanzen dar, die in der näheren Umgebung nur noch wenig Möglichkeiten zum Überleben finden. Seit einigen Jahren legt die Friedhofsverwaltung unter Leitung von Holger Sense großen Wert auf den ökologischen Ausbau des Geländes zur Steigerung der Biodiversität. Es wurden zahlreichen Flächen zu blühenden Inseln umfunktioniert, Blumenwiesen und insektenfreundliche Staudenbeete angelegt und eine hohe Anzahl unterschiedlicher Gehölze gepflanzt. So soll gewährleistet werden, dass es über den ganzen Friedhof verteilt immer auch etwas Blühendes für unsere bedrohte Insektenwelt gibt.
Der Friedhof nimmt Teil am Projekt "Biodiversitätschek auf kirchlichen Friedhöfen (BiCK)"
Es wird gezählt - Wie viele Pflanzen und Tiere, Flechten und Pilze leben auf dem Friedhof?

Der BUND Bochum unterstützt den Friedhof unter Leitung von Armin Jagel bei der Anlage und Pflege der Blumenwiesen und vor allem bei der Erfassung der Tier- und Pflanzenwelt.
Während die Pflanzenwelt schon sehr gut erfasst ist, kommen bei den Tieren bei jedem Besuch bisher noch nicht gesehene Arten hinzu. Moose, Flechten und Pilze werden gezielter erst im Winter kartiert.
Bisher wurden auf dem gut 7,2 ha großen Friedhofsgelände insgesamt 1169 Arten gezählt. Bei den Pflanzen wurden die Wildpflanzen (305), einjährige Arten der Ansaaten (41), die Pflanzen der Staudenbeete (35) und die gepflanzen Gehölze (179) berücksichtigt. Gepflanztes auf den Gräbern (mit Ausnahme der Gehölze, die nicht in Schalen wurzeln) wurden nicht mitgezählt, weil es oft keinen längeren Bestand hat.
Mehr als 210 Gehölzarten

Ehrwürdige Baumgestalten und Alleen, die z. T. noch aus der Gründungszeit des Friedhofs im Jahr 1894 stammen, verleihen dem Friedhof einen harmonischen Parkcharakter mit vielen sonnigen und schattigen Rückzugsorten, die zum Ausruhen einladen.
Seit einigen Jahren wird der Gehölzbestand durch zahlreiche neue Sträucher und Bäume erweitert. Insbesondere bunt blühende Arten werden ausgewählt, um das Blütenangebot für Insekten zu steigern. So gibt es auf dem Friedhof mittlerweile 216 verschiedene Gehölzarten. Dabei wird auch darauf geachtet, dass heimische Gehölze Berücksichtigung finden, wie z. B. die früh blühenden Schlehen, der Weißdorn und Wildrosen. Zahlreiche Insekten hängen von solchen Arten ab, weil viele von ihnen mit exotischen Pflanzen wenig anfangen können. Faulbaum und Kreuzdorn haben zwar nur kleine unscheinbarer Blüten und sind daher aus menschlicher Sicht nicht sonderlich attraktiv. Es werden aber nicht nur ihre Blüten von Bienen und Hummeln gerne besucht, sondern ihre Blätter bieten die Nahrungsgrundlage für die Raupen des Zitronenfalters.
Vielfalt der Nadelbäume

Eine besondere Rolle auf Friedhöfen spielen die Nadelbäume (= Koniferen). Sie sind als immergrüne Gehölze beliebt und stehen in der christlichen Tradition symbolisch für das Ewige Leben. Die Anzahl der gepflanzen Koniferen-Arten wird dabei allerdings oft weit überschätzt. Es wurden nämlich zahllose Sorten gezüchtet, die sich deutlich von der Wildform und auch voneinander unterscheiden. Und so wachsen auf unserem Friedhof nur 37 Nadelbaum-Arten, obwohl es nach sehr viel mehr aussieht. Die Anzahl ist trotzdem verleichsweise hoch, berücksichtigt man, dass in Deutschland lediglich neun Koniferen-Arten heimisch sind, in Nordrhein-Westfalen sogar nur drei (Gewöhnlicher Wacholder, Wald-Kiefer und Europäsche Eibe).
Für die Tierwelt haben Nadelbäume bei uns nur eine begrenzte Bedeutung, da sie keine Blüten mit Nektar produzieren. Auch die Nadelbäume interessieren sich nicht für Bienen oder Schmetterlinge, da sie vom Wind bestäubt werden. Sie bieten aber zahlreichen kleinen und größeren Lebewesen Schutz und einen Brutplatz. Einige Tierarten sind sogar auf Koniferen angewiesen, wie der weiter unten abgebildete Buntrock (Cyphostethus tristriatus), eine Wanzenart, die ursprünglich am Gewöhnlichen Wacholder saugte, heute regelmäßig auch an Scheinzypressen.

Besonders häufig werden auf Friedhöfen Lebensbäume (Thuja) und Scheinzypressen (Chamaecyparis) gepflanzt, von diesen gibt es Hunderte wenn nicht Tausende Sorten. Die Arten beider Gattungen sehen sich sehr ähnlich, aber an den Zapfen lassen sie sich leicht unterscheiden. Viele Sorten allerdings bilden keine Zapfen mehr aus. Dann wird es schwierig mit der Bestimmung und man kann sie außerdem mit weiteren Koniferen verwechseln. Wichtig sind immer die Zeichnungen und Farben auf Unterseite der Zweige.
Lebensbäume haben länglich-eiförmig Zapfen, die aufrecht stehen. Alle Sorten lassen sich bei uns auf nur drei Arten zurückführen: den Morgenländischen Lebensbaum (Thuja orientalis) aus Ost-Asien, den Riesen-Lebensbaum (Th. plicata) aus dem westlichen Nord-Amerika und - besonders häufig gepflanzt - den Abendländischen Lebensbaum (Th. occidentalis) aus dem Nordosten Nord-Amerikas.

Scheinzypressen haben im Gegensatz zu Lebensbäumen kugelige Zapfen, die wie kleine Fußbälle aussehen. Auch sie lassen sich auf drei Arten zurückführen: die Hinoki-Scheinzypresse (Chamaecyparis obtusa) aus Japan und Taiwan, die Sawara-Scheinzypresse (Ch. pisifera) aus Japan und die Lawsons Scheinzypresse (Ch. lawsoniana) aus dem Westen der USA. Letztere ist die bei weitem variabelste mit den meisten Sorten, sowohl bezüglich der Wuchsform als der Farbe der Nadeln.
Bei der Selektion der Koniferen-Sorten spielen solche Kriterien eine große Rolle. Für die Bepflanzung von Gräbern sind Zwerg- und Säulenformen gefragt, in einem geringeren Maße auch Formen mit herabhängenden Ästen, die Trauer symbolisieren.

Eine Besonderheit unter den Nadelbäumen des Wattenscheider Friedhofs stellt die Schirmtanne (Sciadopitys verticillata) dar, von der hier insgesamt sieben Exemplare auf Gräbern wachsen. Sie gehört zu den sog. lebenden Fossilien (Tertiärrelikte), die als einzige von ihren nächsten Verwandten die letzte Eiszeit überlebt haben. Wild wächst die Schirmtanne heute nur noch auf einigen japanischen Inseln. Ihre Nadeln sind schirmförmig um die Zweige angeordnet, daher der Name. In der Wissenschaft wird seit langem diskutiert, ob es sich bei den Nadeln wirklich um Blätter handelt oder aber um kurze Triebe, die ergrünt sind und die Funktion von Blättern übernommen haben. Heute ist die Schirmtanne wieder weltweit verbreitet, weil sie aufgrund ihres einzigartigen Aussehens gerne als Zierpflanze verwendet wird.
Blühstreifen und Wildblumenwiesen

Sog. Blühstreifen werden unter Naturschützern und Naturschützerinnen oft skeptisch betrachtet, weil sie einerseits meist auf mit Pestiziden belasteten Ackerrändern angelegt werden und dann zur Vergiftung der Tierweil beitragen, andererseits oft zum Großteil aus Arten bestehen, die bei uns nicht heimisch sind.
Auf dem Friedhof jedoch gibt es keine Giftbelastung im Boden und auch exotischen Pflanzen haben einen gewissen Wert, da sie immerhin den häufigen Insekten Nektar und Pollen anbieten, wie z.B. den Honigbienen, von denen es mehrere Bienenstöcke auf dem Friedhof gibt. Das größte Missverständnis bei den Blühstreifen liegt darin, dass einjährige Blumenmischungen oft fälschlich als "Wiese" bezeichnet werden.

Wirkliche Wiesen werden mit Unterstützung des BUNDs aber ebenfalls angelegt. Hierbei handelt es sich um die artenreichen Glatthaferwiesen, die früher in unserem Raum überall vorkamen. Sie setzen sich aus heimischen Wiesenarten zusammen, sind nicht so überaus bunt wie die "bunten Blumenmischungen", dafür aber nachhaltig, und sie dienen besonders der heimischen Insektenwelt als Nahrungsgrundlage. Sie bieten ihnen außerdem Wohnraum, was wichtig ist, denn es bauen z. B. über 70 % der Wildbienen ihre Nester nicht etwa in Bienenhotels, sondern im Boden. Glatthaferwiesen sind außerdem pflegeleicht: Sie müssen nur zweimal im Jahr gemäht werden.
Zierpflanzen

Die auf dem Friedhof wachsenden Blumen lassen sich in verschiedenen Kategorien einteilen. Die Bepflanzung der Gräber besteht neben den oft immergrünen Zwerggehölzen aus saisonalen Blühpflanzen, die für Insekten keine große Bedeutung haben und die nach dem Verblühen meist sofort wieder entfernt werden.
In den von der Friedhofsverwaltung gepflegten Staudenbeeten wurden dagegen zahlreiche insektenfreundliche Pflanzen zusammengestellt, unter denen sich auch in NRW selten gewordene heimische Arten befinden, wie z. B. die Steppen-Wolfsmilch (Euphorbia seguieriana).
In den über den ganzen Friedhof verteilten Einsaaten von einjährigen Sommerblumen finden sich neben fremdländischen Arten ebenfalls gefährdete einheimische Ackerunkräuter wie z. B. die Kornblume (Centaurea cyanus) und sogar in NRW landesweit ausgestorbene Arten, wie Kuhnelke (Vaccaria hispanica) und Kornrade (Agrostemma githago). Sie müssen allerdings jedes Jahr neu eingesät werden. Manchmal verwildern Arten auf die benachbarten Wege oder auf Gräber, verschwinden hier aber schnell wieder.
Wildpflanzen

In den Rasen und Wiesen, in Gebüschen und an deren Rändern, auf Wegen, Beeten und Gräbern wachsen aber auch zahlreiche Wildpflanzen, insgesamt wurden bisher 299 gezählt.
Wie die Pflanzen im Einzelfall auf den Friedhof gelangt sind, ist dabei nicht immer erkenntlich. Zum Teil handelt es sich offensichtlich um Reliktvorkommen aus einer Zeit, als hier noch kein Friedhof war, wie z. B. beim Buschwindröschen (Anemone nemorosa), von dem ein kleiner Bestand in einem Gebüsch wächst. Die früher in Bochum häufig Art ist in den nördlichen Stadtteilen heute nur noch selten anzutreffen.
Andere Arten sind erst in jüngerer Zeit eingewandert, sei es, dass sie verschleppt wurden, durch Samenanflug hierher gelangten oder durch Vögel ausgebreitet wurden. Ein Beispiel stellt die Indische Scheinerdbeere (Potentilla indica) aus Süd- und Ost-Asien dar. Sie wächst auf dem Friedhof an einigen Stellen im Rasen und an Gebüschrändern, ähnelt der heimischen Wald-Erdbeere (Fragaria vesca), die ebenfalls an verschiedenen Stellen zu finden ist, blüht aber gelb und schmeckt nicht.
Und auch die als "Unkräuter" bezeichneten Pflanzen auf Wegen und Gräbern spielen nicht nur eine Rolle für die Artenvielfalt, sondern sind wichtig für die Ernährung zahlreicher Insekten. Viele von Ihnen wuchsen früher in Äckern, wo sie heute keinen Lebensraum mehr finden.
Bemerkenswerte Pflanzenarten
Der Friedhof lebt von seiner Vielfalt an Pflanzenarten. Jede einzelne hat ihre eigene Funktion im Gefüge des Ökosystems, auch wenn wir diese nicht unbedingt kennen. Interessant für Botanikerinnen und Botaniker sind oft die in der Region seltenen oder gefährdeten Arten, die an ihren ursprünglichen Wuchsorten stark zurückgegangen sind oder heute dort gar nicht mehr existieren. Sie können auf Friedhöfen einen Ersatzlebensraum und einen Rückzugsort finden.

Auf dem Wattenscheider Friedhof wurden z. B. einige Pflanzen der Gänse-Malve (Malva neglecta) auf einem Grab gefunden. Die Art war schon früher in Bochum nicht häufig und ist heute sehr selten.
Das Wald-Greiskraut (Senecio sylvaticus) war früher eine regelmäßige Pflanze auf Waldlichtungen, an Wegrändern oder im Gebüsch. Derzeit sind von ihm im gesamten Stadtgebiet nur noch zwei Pflanzen bekannt. Sie wachsen auf unserem Friedhof auf Gräbern.
Das Niederliegende Johanniskraut (Hypericum humifusum) war im 19. Jahrhundert in Bochum auf Äckern "gemein", heute gibt es nur noch wenige Vorkommen auf den Friedhöfen der Stadt, wie auch in Westenfeld. Hier wächst es an wenigen Stellen auf Wegen, in Rasen und auf einem Grab

Im Juli 2023 fand Corinne Buch das Lanzettblättrige Weidenröschen (Epilobium lanceolatum) an mehreren beschatteten Stellen auf Wegen und Gräbern des Friedhofs. Die Art ähnelt mehreren anderen Weidenröschen-Arten, ist in Nordrhein-Westfalen aber eigentlich eine Art des Berglandes. Über die genaue Verbreitung und Häufigkeit im Land ist wenig bekannt, aber im Tiefland wurde sie bisher nur sehr selten gefunden. Für die Großlandschaft Westfälische Bucht/Westfälisches Tiefland, in der der Wattenscheider Friedhof liegt, stellt das Vorkommen sogar den Erstfund eines beständigen Vorkommens dar (vgl. BUCH, JAGEL & SENSE 2023)!

Eine kleine Sensation war im Jahr 2020 auch der Fund des Zierlichen Hornklees (Lotus angustissimus) in einem Rasen. Die Art war bis dahin noch nie in NRW gefunden worden und auch nur wenige Male in Deutschland. Sie stammt ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. Wie sie auf den Friedhof gekommen ist, bleibt unklar. Jedenfalls hat sie sich hier zwei Jahre wohl gefühlt, geblüht, gefruchtet und auch die Winter überstanden. Dann allerdings war sie wieder verschwunden. Mal sehen, ob sie irgendwann wieder auftaucht.
Schmetterlinge - am Tag und in der Nacht

Die vielen blühenden Pflanzen und die Blumenwiesen auf dem Friedhof zielen insbesondere auf bestäubende Insekten ab, wie Wildbienen, Schwebfliegen und Schmetterlinge. Einen besonderen Schwerpunkt bei den Untersuchungen legen wir auf die Schmetterlinge.
Bisher konnten wir insgesamt 18 Tagfalter-Arten beobachten wie z. B. Aurorafalter (Anthocharis cardamines), Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni), Tagpfauenauge (Aglais io), Kleiner und Großer Kohlweißling (Pieris rapae und P. brassicae), Karst-Weißling (Pieris mannii), Grünader-Weißling (Pieris napi), Großes Ochsenauge (Maniola jurtina) und C-Falter (Polygonia c-album). Am Rand eines kleinen Gehölzaltbestandes ist jedes Jahr das Waldbrettspiel (Pararge aegeria) zu beobachten. Noch im Herbst sieht man am blühenden Efeu Admiral (Vanessa atalanta) und Distelfalter (V. cardui).

Aber auch seltenere Falter kann man auf dem Friedhof entdecken. Im Jahr 2020 konnten wir im Mai einmal einen Falter des Schwalbenschwanzes (Papilio machaon) im Flug beobachten. Im Sommer 2023 saß öfter der Kleine Perlmutterfalter (Issoria lathonia) auf den Wegen. Seinen Namen hat er von den Flecken auf den Unterseiten der Flügel, die an Perlmutt erinnern. Die Art steht auf der Vorwarnliste der Schmetterlinge in Nordrhein-Westfalen, in der Westfälischen Bucht, in der Wattenscheid liegt, wird er sogar als gefährdet (Rote Liste-Wert 3) eingestuft. Die Hauptnahrungspflanze der Raupen ist das Acker-Stiefmütterchen (Viola arvensis). Der Falter legt seine Eier aber auch an andere Viola-Arten und wohl auch an Stiefmütterchen-Zierpflanzen und davon gibt es viele auf dem Friedhof. Sie verwildern auf Wegen und in Rasen. Vielleicht vermehrt sich der Kleine Perlmutterfalter ja auch hier.

Von den kleineren Tagfalter haben wir bisher drei Arten der Bläulinge (Lycaenidae) beobachten können. Neben dem noch verbreiteten Hauhechel-Bläuling (Polyommatus icarus) und dem Faulbaum-Bläuling (Celastrina argiolus) erfreut uns besonders der Kleinen Feuerfalter (Lycaena phlaeas). Er ist nicht blau, sondern braun und leuchtend orange. Er ist in Bochum nicht mehr häufig zu finden.

Die eigentliche Vielfalt der Schmetterlinge ist aber nachts unterwegs, die sog. Nachtfalter. Sie werden oft etwas unschön als "Motten" abgetan, dabei gibt es zahlreiche spektakulär bunte und auch große Arten unter ihnen, wie z. B. das Rote Ordensband (Catocala nupta). Die roten Hinterflügel werden zur Abschreckung eingesetzt, wenn sich ein Feind nähert. Die kurze Schreckphase kann der Falter zur Flucht nutzen.
Zwar gibt es auch einige tagaktive Nachtfalter, aber die allermeisten von ihnen fliegen in der Tat ausschließlich nachts. Um sie zu sehen, muss man Hilfsmittel anwenden z. B. speziell für Nachtfalter entwickelte Lichtquellen oder selbstgemixte Zuckerlösungen, durch die die Tiere angelockt werden. Bei solchen nächtlichen Aktionen kann man oft zahlreiche Arten beobachten.

Spektakulär und bunt trifft auch auf die Bunte Ligustereule (Polyphaenis sericata) zu. Sie ist ein Beipiel für Arten, die bei uns äußerst selten gefunden werden, aber nicht, weil sie im Vergleich zu früher stark zurückgegangen sind, sondern weil sie derzeit erst nach Nordrhein-Westfalen einwandern. Die Bunte Ligustereule breitet sich in Deutschland von Südwestdeutschland ausgehend immer weiter nach Norden aus und ist in NRW offenbar bisher erst drei Mal gefunden worden: einmal 2020 in Köln (vgl. Insectis Online) und zweimal in Bochum. Der Erstfund in unserer Stadt war am 18.07.2021 am Köder auf der BUND-Obstwiese in Laer, der zweite Fund am 23.06.2023 am Leuchtturm auf unserem Friedhof. Hiermit wurde sie auch das erste Mal in der Westfälischen Bucht gefunden!

Es stellt sich die Frage, warum viele Nachtfalter denn überhaupt farbig sind, wenn sie doch im Dunkeln unterwegs sind und sich dann fast ausschließlich mit dem Geruchssinns orientieren. Der Grund dafür ist in den meisten Fällen der Tag. Dann ruhen sie unter Blättern, an Zweigen oder Stämmen und wären ein leichtes Opfer für ihre Fraßfeinde, wenn sie zu auffällig wären. Sinnvoll ist es dann, wenn sie in Farbe und Muster der Unterlage ähneln. Daher sind viele Herbstfalter orange oder gelb wie Herbstlaub.
Ein gutes Beispiel ist auch das "Grüne Blatt" (Geometra papilionaria), das mit um die 5 cm Spannweite eindrucksvoll groß ist. Obwohl es bei uns gar nicht selten ist, hat man kaum eine Chance, es tagsüber zu finden, wenn es sich zwischen wirklichen Blättern versteckt.
Seltsame Gestalten - Glasflügler

Viele Nachtfalter kommen aber weder ans Licht noch an den Köder und man sieht sie auch kaum einmal auf Blüten. Hierzu gehören die Glasflügler (Fam. Sesiidae). Aufgrund ihrer durchsichtigen Flügel sind sie nicht sofort als Schmetterlinge zu erkennen, wie z. B. der Apfelbaum-Glasflügler (Synanthedon myopaeformis).
Auch wenn Glasflügler zu den Nachtfaltern gezählt werden, sind sie allesamt tagaktiv. Aber man sieht sie trotzdem nicht. Aus den bereits genannten Gründen, aber vielleicht auch deswegen, weil ihr Flug ganz anders ist als der, den man von den durch die Luft gaukelnden Tagfaltern kennt.

Einige Arten der Glasflügler ahmen in Körperform und -färbung Wespen, Bienen oder Hornissen nach, wie der Große Weiden-Glasflügler (Sesia bembeciformis), der im Juni auch auf den Wattenscheider Friedhof fliegt. Dadurch geben diese völlig harmlosen Falter vor, wehrhaft zu sein, und versuchen sich so, vor dem Gefressenwerden zu schützen.
Um Glasflügler aufzuspüren, hängt man sog. Pheromonfallen mit Geruchsstoffen auf, die den Pheromonen der weiblichen Falter nachempfunden sind. Hiermit werden die Männchen angelockt, die es zunächst gar nicht zu stören scheint, dass kein Weibchen zu sehen ist. Sie gelangen dann aber bei der Suche nach dem Ursprung des betörenden Duftes in die Falle und dort kann man sie fotografieren. Danach werden sie wieder freigelassen. Besonders abends, wenn sie müde und träge sind, kann man sie schon mal auf ein Blatt krabbeln lassen, damit das Foto natürlicher wirkt. Auf dem Wattenscheider Friedhof haben wir bisher sieben verschiedene Glasflügler-Arten nachgewiesen.
Bisherige Bilanz bei den Schmetterlingen

Die Schmetterlinge machen etwa 47 % der bisher nachgewiesenen 465 Insektenarten aus, 40 % der Tierarten insgesamt. Im Moment wissen wir von 224 Schmetterlings-Arten, die auf dem Friedhof wohnen oder ihn besuchen, 19 davon stehen für die Westfälische Bucht auf der 2021 erschienenen Roten Liste der Schmetterlinge Nordrhein-Westfalens, zwei davon gelten sogar landesweit als gefährdet, der Pappel-Blattwickler (Gypsonoma aceriana) und der Eschen-Zackenrandspanner (Ennomos fuscantaria).
Neben der schon erwähnten Bunten Ligustereule (Polyphaenis sericata) werden zwei weitere Arten in der Liste der Schmetterlinge Nordrhein-Westfalens von 2021 für die Westfälischen Bucht noch nicht aufgeführt, auch hierbei handelt es sich um Arealerweiterer: der Orangefarbene Kiefernwickler (Lozotaeniodes formosana) und der Efeuwickler (Clepsis dumicola).
Der NABU NRW hat dem Ev. Friedhof in Wattenscheid-Westenfeld im Juli 2022 das Prädikat "Schmetterlingsfreundlicher Friedhof" verliehen - als bis dahin erst zweitem in NRW.
Wildbienen

Insekten, die ebenfalls von der Blütenvielfalt des Friedhofs profitieren, sind die Wildbienen. Hierunter werden die wirklichen Bienen gezählt (Apiformis, z. B. Sandbienen, Mauerbienen, Fuchenbienen, Maskenbienen, Seidenbienen und Hummeln, mit Ausnahme der Honigbiene) und die Grabwespen (Spheciformis).
Wildbienen sind sind nur anhand von Fotos meist nicht sicher zu bestimmen, besonders die kleinen Arten. Da müssen Fachleute ran. Trotzdem kann man oft Unterschiede erkennen. Auf dem Friedhof haben wir bisher 26 Wildbienen-Arten unterscheiden können.
Eine davon ist die Große Wollbiene (Anthidium manicatum), die bei Sonne regelmäßig im Bereich des Woll-Ziestes (Stachys byzantina) im Urnengarten zu beobachten ist. Die schwarzgelben Tiere fliegen hektisch um die blühende Pflanzen herum und bleibt zwischendurch immer mal in der Luft stehen wie Schwebfliegen. Die Große Wollbiene bestäubt nicht nur die Blüten des Ziestes, sondern die Weibchen sammeln hier auch die wolligen Haare der Pflanzen, mit denen sie ihre Brutzellen verschließen.
Käfer

Bisher konnten wir 60 Käferarten auf dem Friedhofsgelände nachweisen, darunter z. B. Schnellkäfer (Elateridae), Speckkäfer (Dermestidae), Blattkäfer (Chrysomelidae), Laufkäfer (Carabidae), acht Arten der Marienkäfer (Coccinellidae), der Balkenschröter (Dorcus parallelipipedus, Lucanidae) und der Kleine Leuchtkäfer (Lampyridae), der bekannter ist unter dem Namen "Glühwürmchen".
Ein besonders skurriles Aussehen hat der Eichelbohrer (Curculio glandium) aus der Familie der Rüsselkäfer (Curculionidae). Mit dem langen Rüssel bohrt das Weibchen ein tiefes Loch in eine junge Eichel, um dort das Ei hineinzulegen.

Zu den Blatthornkäfern (Scarabaeidae) gehören ganz unterschiedliche Arten, darunter auch große und auffällige. Der vielleicht bekannteste unter ihnen dürfte der Maikäfer (Melolontha melolontha) sein, der im Mai auf dem Friedhof zu sehen ist. Auch der Pinselkäfer (Trichius) und der Stolperkäfer (Valgus hemipterus) sind hier und da zu finden.
Auf Blüten sitzen regelmäßig die wärmeliebenden Trauer-Rosenkäfer (Oxythyrea funesta), die in den letzten 20 Jahren in NRW deutlich häufiger geworden sind. Sie ernähren sich von Pollen und Nektar und man findet sie über mehrere Monate an den Blüten zahlreicher Pflanzen, so auf unseren Wildblumenwiesen (Margeriten, Schafgarbe, Acker-Witwenblume, Wiesen-Flockenblume und Jakobs-Greiskrat), an Disteln (Acker-Kratzdistel, Gewöhnliche Kratzdistel), an Sträuchern (z. B. Brombeeren) und auch an einigen Pflanzen der "bunten Blumenmischungen", wie z. B. an Radieschen und an Jungfer im Grünen.

Am beeindruckstensten aber ist der bis 4,3 cm lange, und damit größte Käfer des Friedhofs: der Nashornkäfer (Oryctes nasicornis). Woher der Name kommt, ist dem Tier leicht anzusehen. Den erwachsene Käfer bekommt man aber kaum einmal zu sehen, da er erst in der Dämmerung oder in der Nacht aktiv ist, wenn der Friedhof geschlossen ist. Obwohl der Nashornkäfer die Dunkelheit vorzieht, kann man ihn mit Lichtfallen anlocken und so nachweisen. Die Art ist gesetzlich geschützt.
Einfacher zu finden sind seine dicken, bis 10 cm langen Larven, die sich über mehrere Jahre durch den Komposthaufen oder Holzmulm fressen, bis sie sich verpuppen und der Käfer schlüpft.
Wanzen

Bisher konnten wir 56 Wanzen-Arten auf dem Friedhof finden. Viele sitzen versteckt am Gras der Wiesen, in Gebüschen oder an Bäumen. Am besten spürt man sie daher mit Fangnetzen oder Klopfschirmen auf.
Fast die Hälfte der Arten gehört zu den Weichwanzen (Miridae). Darüber hinaus kommen bspw. Blumenwanzen (Anthocoridae), Randwanzen (Coreidae), Stachelwanzen (Acanthosomatidae), Baumwanzen (Pentatomidae), Sichelwanzen (Nabidae), Bodenwanzen (Lygaeidae), Feuerwanzen (Pyrrhocoridae), Netzwanzen (Tingidae) und Glasflügelwanzen (Rhopalidae) vor.
Nicht alle Wanzen haben überhaupt einen deutschen Namen, aber wenn, dann klingen diese oft sehr interessant, wie z. B. Kahler Griesel (Nysius senecionis), Nessel-Wicht (Scoloposteths affinis), Glatter Nimrod (Deraeocoris lutescens), Psyche (Campyloneura virgula), Plink (Notostira elongata) oder Buntrock (Cyphostethus tristriatus).

Wanzen gehören nicht zu den Bestäubern und in der Regel bei den Menschen nicht zu den beliebtesten Insekten. Die meisten Arten saugen durch ihren Stechrüssel Pflanzensäfte und wenn sie das an Gemüse- oder Zierpflanzen tun, werden sie gerne als "Schädling" eingestuft.
Die Andromeda-Netzwanze ist ein solch ungeliebtes Tier, ein eingeschleppter Neubürger aus Ostasien, der erst seit Anfang des Jahrtausends bei uns häufiger auftritt. Die Tiere mit den teilweise durchsichtigen Flügeln sitzen auf der Blattunterseite der Japanischen Lavendelheide (Pieris japonica), einem auf Friedhöfen beliebten immergrüner Zierstrauch, und stechen die Blätter an. Diese werden dadurch erst fleckig, vergilben zunehmend und können später sogar abfallen. Die Sträucher sterben deswegen nicht ab, aber sie verlieren erheblich an Zierwert.

Zahlreiche Wanzen-Arten leben aber räuberisch und interessieren sich gar nicht für das vielfältige vegetarische Angebot der Natur. Sie stechen mit ihrem Saugrüssel nicht Pflanzen an, sondern andere Tiere, und saugen sie dann aus. Eine von diesen Wanzen ist die Ameisen-Sichelwanze (Himacerus mirmicoides), die sich noch etwas ganz Besonderes hat einfallen lassen: Ihre Larven, die wie Wanzen typischerweise ganz anders aussehen als die erwachsenen Tiere, ahmen wehrhafe Ameisen nach. Beim flüchtigen Blick erkennt man sie daher nicht sofort als Wanzen. Erst bei genauerem Hinsehen sieht man den für Wanzen typischen großen Stechrüssel.
Man geht davon aus, dass sich die Ameisen-Sichelwanze durch diese Mimikry vor Fressfeinden schützt und deswegen etwas sorgloser auf die Jagd gehen kann.
Heuschrecken

Neun Heuschrecken-Arten wurden bisher auf dem Friedhof gefunden. Anders als oft angenommen, leben sie nicht etwa nur in Wiesen, sondern z. B. auch auf Bäumen und in Sträuchern, wie die hellgrüne Südliche Eichenschrecke (Meconoma meridionale). Sie ähnelt unserer heimischen Gewöhnlichen Eichenschrecke (M. thalassinum), stammt aber ursprünglich aus dem Mittelmeerraum. In den letzten Jahrzehnten hat sie sich in Europa immer weiter nach Norden ausgebreitet und bevorzugt stärker die wärmeren Siedlungsbereiche. Auch im Ruhrgebiet ist sie mittlerweile weit verbreitet. Die Südliche Eichenschrecke ist dämmerungs- und nachtaktiv. Sie gibt nur so leise Geräusche von sich, dass der Mensch sie kaum hören kann. Nachgewiesen haben wir sie nachts am Licht und am Köder sowie tagsüber durch Klopfen aus Bäumen. Gelegentlich taucht sie auch in Wohnungen auf, wo man sie durchaus gewähren lassen sollte, denn sie frisst nicht etwas Pflanzen, sondern kleine Insekten.

An Bäumen findet man auf dem Friedhof auch die erwachsenen Tiere der Punktierten Zartschrecke (Leptophyes punctatissima), während die Jungtiere sich eher an Kräutern aufhalten. Sie ist ebenfalls kaum zu hören, größer als die Eichenschrecke, über und über mit dunklen Punkten versehen und Vegetarierin.
Die Eiablage geschieht wie bei der Südlichen Eichenschrecke in Baumrinde.

Neben einigen weit verbreiteten Heuschrecken-Arten haben wir auch zwei Arten auf dem Friedhof angetroffen, die bemerkenswerter sind.
Zum einen die Große Goldschrecke (Chrysochraon dispar), die im Gras einer unserer Wiese saß. Sie wird in der Roten Liste der Heuschrecken Nordrhein-Westfalens für die Westfälische Bucht als gefährdet geführt (RL 3). Wahrscheinlich hat sie erst durch das Anlegen und die sachgerechte Pflege der Wiesen bei uns einen geeigneten Lebensraum gefunden.
Die zweite erwähnenswerte Art ist das Weinhähnchen (Oecanthus pellucens). Wie die oben erwähnte Südliche Eichenschrecke stammt die Art aus dem Süden Europas und hat sich erst in jüngerer Zeit in NRW ausgebreitet. In der zweiten Augusthälfte 2023 war ihr recht lauter - und wie man sagt - schöner Gesang in jeder Nacht am Rand einer Wiese zu hören.
Spinnentiere

Spinnen gehören nicht zu den Insekten. Auch von ihnen gibt es sicherlich sehr viele mehr auf dem Friedhof, als wir bisher wissen. Sie sind nicht einfach nachzuweisen bzw. zu fotografieren und müssen für eine korrekte Bestimmung oft gefangen und von Fachleuten bestimmt werden. Nur mit Fotos ist das meist nicht möglich. Manchmal kann man allerdings wenigstens die Gattung erkennen. Eine gewisse Anzahl von Spinnenarten ist aber auch von Laien bestimmbar, wie z. B. die Garten-Kreuzspinne (Araneus diadematus) und die auffällige Wespenspinne (Argiope bruenichii).
Insgesamt haben wir bisher 23 Spinnen-Arten auf unserer Liste.

Eine bei uns verbreitet Spinne sorgt immer wieder für Gänsehaut: die Veränderliche Krabbenspinne (Misomena vatia). Sie ist in der Lage, sich der Farbe der Unterlage anzupassen und tarnt sich dadurch so gut, dass sie auch von Insekten nicht wahrgenommen wird. So lauert sie geduldig auf Blumen, bis sich z. B. eine unbekümmerte Sandbiene (Andrena) zum Nektartrinken oder Pollensammeln nähert. Dann schlägt die Krabbenspinne blitzschnell zu, greift mit ihren Vorderbeinen die Biene und tötet sie, indem sie ihr Gift injiziert. Dem aufmerksamen Menschen fällt das deswegen auf, weil die Biene sich nicht bewegt und oft eine unnatürliche Haltung einnimmt.
Neben den Spinnen gehören auch die Weberknechte (bisher 3 Arten gefunden) und Milben (5 Arten in Form von Gallen) zu den Spinnentieren.
Die Suche geht weiter
Es bleiben noch zahlreiche Lebewesen auf dem Friedhof zu entdecken!
Wir bedanken und herzlich bei Prof. Dr. Veit M. Dörken (Universität Konstanz) bei der Unterstützung der Bestimmung von Ziergehölzen sowie bei Dr. Christian Schmidt (Senckenbergmuseum Dresden) bei der Bestimmung einiger Insekten! Herr Prof. Dr. Erwin Bergmeier (Universitär Göttingen) bestätigte uns freundlicherweise die Bestimmung des Lanzettlblättrigen Weidenröschens.
Armin Jagel und Holger Sense (letzte Änderung 09.09.2023)
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